Wahlkampf im Werkstättle

Nächsten Sonntag wird in Baden-Württemberg gewählt. Und als „Auslandsschwabe“ werde ich dann wahrscheinlich gefragt, woher der Erfolg der Grünen in einem der schwärzesten Bundesländer kommt. Nun bin ich zu lange aus dem Schwabenland weg, um die grün-rote Landespolitik oder den Wahrheitsgehalt der Argumente kompetent beurteilen zu können. Was ich aber beurteilen kann, ist die Werbung, die die Parteien machen. Und da ist den Grünen ein wirklich großer Wurf gelungen, der sicher seinen Teil zum Wahlergebnis beiträgt.

Was Werbung für Wahlen langweilig macht

Wenn man Parteienwerbung anschaut, hat man den Eindruck, es gäbe 7 goldene Regeln für den erfolgreichen Wahlkampfspot, so oft wiederholen sich bestimmte Szenen:

1. Zeige möglichst oft den Kandidaten/die Kandidatin

2. Zeige Menschen. Viele unterschiedliche Menschen. Denn unsere Partei ist für alle da.

3. Zeige den Kandidaten/die Kandidatin im Gespräch mit den Menschen. Das zeigt, dass die Partei auf ihre Wünsche eingeht.

4. Lachen! Jede und jeder muss lachen! Denn da, wo unsere Partei ist, ist alles gut!

5. Der Kandidat/die Kandidatin muss zupackend rüberkommen und Herz für die arbeitende Bevölkerung und die Wirtschaft zeigen! Zeige deshalb Besuche in Fabriken, Betrieben oder auf Baustellen.

6. Rede ständig aus dem Off. Erzähle, wie toll alles werden wird. Und damit es auch jeder versteht, blende auch noch die entscheidenden Schlagworte in den Film ein.

7. Und wenn das alles nicht geht, dann mach etwas, was total neu und crazy ist. Cartoons zum Beispiel (das ist witzig!). Oder Bilder überblenden.

Regeln sind dazu da, dass man sie bricht

Der Spot von Winfried Kretschmann bricht mit allen diesen Merkmalen. Der Ministerpräsident arbeitet in seiner Werkstatt und lässt die Zuschauer an seinen Gedanken teilhaben. Die Inhalte, die dabei kommuniziert werden, findet man so oder ähnlich auch bei anderen Parteien. Viel wichtiger ist das, was der Spot mit seiner Bildsprache aussagt. Denn im Unausgesprochenen stecken viele Botschaften, mit denen sich konservative Wählerinnen und Wähler identifizieren können.
Ich habe den Spot einmal ohne Text unter die Lupe genommen:

Was Werbung sagt, indem sie es nicht sagt

Sekunde 0-7:
Die Kamera nähert sich dem Ort des Geschehens an: Erst ein Ort in verschneiter Landschaft, dann der Kirchturm, dann ein Haus. Im Hintergrund Werkstattgeräusche, die lauter werden, je näher man dem Haus kommt. Niemand redet.
Hier ist es nicht großstädtisch-urban. Ein Dorf mit Kirche. Überschaubar, gemütlich, ruhig. Hier ist die (konservative) Welt noch in Ordnung.

Sekunde 8 – 14:
Zoom auf Hände, die mit einem Hobel ein Stück Holz bearbeiten. Die Kamera fährt zurück und zeigt, dass der Ministerpräsident da hobelt. Und dabei Arbeitskleidung trägt. Hobelspäne fallen auf den Boden.
Das ist einer von uns. Jemand, der in Arbeitskleidung  (im „Schaffhäs“) im Werkstättle sitzt. Der weiß, wie es sich anfühlt, mit den Händen zu arbeiten. Und der das auch mit Kraft tut. Sonst würden auch keine Späne auf den Boden fallen. Und jemand, der sich auch die Finger dreckig macht, ja sogar extra Kleidung dafür hat.

Sekunde 14 – 16:
Die Kamera schwenkt auf ein ordentlich eingeräumtes und blitzsauberes Regal.
Wo unser Ministerpräsident arbeitet herrscht Ordnung. Auch kleinste Dinge werden beachtet und gepflegt.

Sekunde 16 – 24:
Der Ministerpräsident macht eine Zeichnung, überträgt Markierungen auf das Holz.
Hier wird mit Bedacht, Augenmaß und Planung gearbeitet. „No nix narrets“ (Nur nichts Unüberlegtes) wie wir Schwaben sagen.

Sekunde 24 – 29:
Vor dem nächsten Arbeitsschritt wird das Arbeitsfeld gesäubert.
Sauberkeit! Ordnung! Wir Schwaben haben immerhin die Kehrwoche erfunden.

Sekunde 34 – 36:
Wir sehen zum ersten Mal die ganze Werkstatt. An der Wand ein altes Schild: „Gasthaus zum Lamm“.
Das alte Schild lehnt nicht etwa schmutzig in einer Ecke. Nein, es wird geradezu präsentiert. Hier wird Altes nicht weggeworfen. Sondern in Ehren gehalten.

Sekunde 36 – bis Minute 1:03
Ein Werkstück wird ausgesägt, die Kanten werden sorgfältig nachbearbeitet.
Der Ministerpräsident ist jemand, der „sauber schafft“, auf Kleinigkeiten schaut, dinge ganz zu Ende bringt, nichts halb fertig liegen lässt.

Minute 1:03 – 1:11
Der Ministerpräsident tritt in seinen Arbeitsklamotten zur Tür. Schnitt. Wir sehen ihn von außen durch die Türe treten. Jetzt trägt er Anzug und grüne Krawatte. Kein Strickpullover, weder Jeans noch Turnschuhe. Ganz Landesvater.
Ich bin der Landesvater. Und einer wie Ihr. (Hat man diese Botschaft jemals schöner umgesetzt?)

Minute 1:11 – 1:15
Er steigt in ein Auto. Einen Daimler
Ich bin grün aber nicht autofeindlich. (Nicht ganz unwichtig in einem Bundesland, in dem Jobs und Wohlstand von der Automobilindustrie abhängen.)

Minute 1:26 – 1:30
Erst jetzt, ganz am Ende des Spots kommt die Partei ins Spiel.
Persönlichkeitswahlkampf vom Allerfeinsten eben.

Ein Musterschwabe fürs Musterländle

Im Vergleich, mit den Spots anderer Parteien, die nicht genug davon bekommen können, in rasantem Tempo lächelnde Menschen und lächelnde Kandidaten zu zeigen und die wichtigen Schlagworte gleich noch dazuzuschreiben, ist der Ministerpräsident auf dem Land in seinem Werkstättle fast schon kommunikatives Slow-Food. Deshalb bleiben er und die Grundstimmung, die er vermittelt, im Gedächtnis. Ein Musterschwabe fürs Musterländle eben.

Der Spot der CDU

Der Spot der SPD

Und beim Thema „Auto“ darf dieser Ausschnitt natürlich nicht fehlen :-)